Letztes Jahr überschritt die Weltbevölkerung die Marke von 7 Milliarden und wächst weiterhin mit einer Rate von
etwa 80 Millionen Menschen pro Jahr; die Nachfrage nach Eiern steigt im selben Umfang. Um der wachsenden Nachfrage
gerecht zu werden, müssen jährlich mindestens 50 Millionen Hennen hinzukommen.
Eine gesteigerte Eierproduktion, eine verbesserte Futterverwertung
und eine Anpassung der Eiqualität an die Kundenwünsche
haben maßgeblich zum Erfolg der Geflügelwirtschaft
beigetragen. Während der Schwerpunkt bisher auf der
Maximierung des genetischen Potentials zur Produktion von qualitativ
hochwertigem Protein zu konkurrenzfähigen Preisen lag, müssen
nun eine veränderte Kundennachfrage und die öffentliche Meinung
in Sachen Tierschutz berücksichtigt werden.
Enge Kommunikation
Zunächst müssen Züchter über die aktuellen Anforderungen hinaus
blicken und sich verändernde Bedürfnisse für einen Zeitraum von
mindestens 5 Jahren in der Zukunft einschätzen. Eine enge Kommunikation
zwischen Züchtern und Vertriebspartnern ist notwendig,
um rechtzeitig Erneuerungen einzuführen, so dass von wachsenden
Nischenmärkten profitiert werden kann. Dies erfordert umfangreiche
Genpools mit vielen reinen Linien, die kombiniert werden können,
um Kreuzungskombinationen mit besonderen Merkmalen hervorzubringen,
um sich so gut wie möglich den Marktanforderungen anzupassen.
Die Erhaltung und Entwicklung neuer Linien sowie das Testen,
die Selektion und die Reproduktion von Elterntierbeständen ist
mit hohen Betriebskosten verbunden und setzt neben einem hohen
Maß an Kompetenz in Sachen quantitativer Genetik auch eine gute
interne Organisation voraus, um einen Überblick über die Verfügbarkeit
der verschiedenen Linienkombinationen behalten zu können.
Die Bereiche Genetische Entwicklung, Marketing und Technischer
Support müssen eng mit den lokalen Vertriebspartnern kommunizieren,
um dem aktuellen Markt einen bestmöglichen Service anzubieten
und von wechselnden Anforderungen profitieren zu können.
Um jedem Markt die bestmögliche Kombination aus einem optimalen
Eigewicht, einer optimalen Schalenfarbe und für das jeweilige
Haltungssystem bieten zu können, hat
LOHMANN TIERZUCHT derzeit
mehr als ein Dutzend verschiedener Linienkreuzungen im Angebot,
die alle auf eine effiziente Eierproduktion als Schwerpunkt selektiert
wurden, und unter Berücksichtigung individueller Selektionsschwerpunkte
erfolgt.
Test-Umwelt
Zur Verbesserung von Zuchtlinien werden reine Linien und Hennen
aus Kreuzungsanpaarungen in verschiedenen Haltungsformen getestet:
In Einzel-, Kleingruppen- und Familienkäfigen sowie in Bodenhaltung
mit einem „Muldennest“. Die meisten Einzelkäfige sind mit
Sitzstangen, Nestern und Scharrflächen ausgestaltet, um so ein Testsystem
zu schaffen, das dem künftigen Haltungssystem mit mehr Bodenfläche
und verschiedenen Ausgestaltungen so ähnlich wie möglich
ist. Die tägliche Eierproduktion wird mit Hilfe von Barcode-Lesern
erfasst. Außerdem werden verschiedene Merkmale bezüglich der
Eiqualität (vor allem Eigewicht, Schalenstabilität, Schalenfarbe und
innere Eiqualität) und der Zustand des Gefieders auf Grundlage von
Stichproben während des Produktionszyklus erfasst. Die individuelle
Futteraufnahme und tägliche Eimasse werden in der Legespitze, d. h.
zur Zeit der maximalen Leistung, bestimmt. Diese Daten ermöglichen
die Selektion für eine verbesserte Futtereffizienz bei gleichzeitig
ausreichenden Futteraufnahmekapazität zum Zeitpunkt des größten
Nährstoffbedarfs. Vor zehn Jahren wurde das automatische Erfassen
der individuellen Leistung in Bodenhaltungssystemen mit Hilfe einer
eigens angepassten Transpondertechnik und dem Weihenstephaner
Muldennest entwickelt. So werden individuelle Informationen über
die Eierproduktion, Nestakzeptanz und Nutzung der Außenanlagen
(Wintergarten oder Freiland) gewonnen. Die Daten werden bei der
Familienselektion zur Bestimmung der „Anzahl der vermarktungsfähigen
Nesteier“ genutzt, wodurch Familien bestraft werden, die eine
geringe Nestakzeptanz aufweisen und Bodeneier legen.
Zuchtziele
Für einen absehbaren Zeitraum können wir sicher davon ausgehen,
dass grundsätzliche Zuchtziele, wie die Eizahl, Futtermitteleffizienz
und Eiqualität, weiterhin oberste Priorität haben werden. Verhaltensmuster
und insbesondere Verhaltensauffälligkeiten werden inzwischen
seit 10 Jahren beim Selektionsprozess berücksichtigt. Die
Eignung für Bodenhaltungs-und Freilandsysteme hat an Bedeutung
gewonnen und dies schließt eine ganze Reihe an Merkmalen mit ein:
Die Akzeptanz von Nestern und Freilauf, ein stabiles Gefieder bis zum
Ende der Legeperiode, Widerstandsfähigkeit gegenüber häufig auftretenden
Krankheiten und eine minimale Neigung zur Entwicklung
von Federpicken und Kannibalismus.
LOHMANN TIERZUCHT hat in
zusätzliche Testkapazitäten investiert, die typische Produktionsumwelt
in der Praxis auf verschiedenen Märkten widerspiegeln. Gleichzeitig
wurde die genetische Basis der reinen Linien auf verschiedene
Kontinente ausgeweitet, um der Nachfrage der wachsenden Märkte
nachzukommen, was im Gegenzug die Inzuchtrate und das Verlustrisiko
wertvoller genetischer Variation minimiert. Ein spezielles Programm
auf Pedigree-Ebene zur Anpaarung ausgewählter männlicher
und weiblicher Tiere stellt sicher, dass die Inzuchteffekte in den reinen
Linien minimiert und der genetische Fortschritt maximiert wird.
Molekularbiologie
Fortschritte auf dem Gebiet der Molekularbiologie haben neue und
noch leistungsfähigere Selektionstechniken hervorgebracht. Durch
die Nutzung informativer genetischer Marker können wir Individuen
mit besonderen Merkmalen schon in der Jugendphase erkennen
und so die Verbesserung hinsichtlich Eierproduktion, Eiqualität und
Vitalität beschleunigen. Diese Innovationen ergänzen die traditionellen
Leistungstests und Bewertungsmethoden auf Basis phänotypischer
Selektionsindizes bezüglich Produktions-, Effizienz- und Qualitätsparametern.
Zusätzliche Informationen auf Grundlage einer DNA-Analyse
werden mit traditionellen Zuchtmethoden kombiniert, um männliche
Tiere bereits früher auszuwählen und unter Vollbrüdern zu
differenzieren, die ohne DNA-Informationen zunächst identische
Zuchtwerte haben. Die Kombination von wie oben beschriebenen
Leistungstests und einer genomweiten Analyse ist ein vielversprechendes
Instrument zur Steigerung des genetischen Fortschritts für
Linienkombinationen mit einem auf bestimmte Anforderungen abgestimmtes
Leistungsprofil.
Genetischer Fortschritt
Die aktuelle Rate des genetischen Fortschritts für die gesamte Effizienz
der Eierproduktion scheint noch größer als vor 20 Jahren zu sein.
Eine verbesserte Struktur und eine gesteigerter Umfang der Zuchtpopulationen,
die Anwendung neuer Technologien für Tests und zur
Erfassung sowie leistungsfähigere Computersysteme zur Schätzung
von Zuchtwerten haben zu einer noch effizienteren Nutzung der
bestehenden genetischen Variation geführt. Die Zuchtziele für künftige
Legehennen lassen sich mit folgenden Zielen und biologischen
Parametern, zusammenfassen: vitale Legehennen mit stabilem Gefieder,
starken Knochen und eine leistungsbezogene Futteraufnahme.
All dies ist für Haltungssysteme ohne Käfige von großer Bedeutung.
Heute legt eine Henne täglich ein Ei mit einer robusten Schale. Die
Legesequenz wird nur selten unterbrochen. In den meisten Fällen betragen
die Pausen nur einen Tag. Eine Legesequenz mit 80 bis 100 Tagen
ohne Pause ist bereits heute der Standard bei mehr als 50 % der
Hennen innerhalb einer Herde. Ein ruhiges Verhalten und eine hohe
Anpassungsfähigkeit an Umwelteinflüsse sichern den wirtschaftlichen
Erfolg. Im Hinblick auf das zu erwartende Verbot der Schnabelbehandlung
in Europa wird ein ausgeglichenes Verhalten der Legehenne
ein wichtiger Faktor werden. Letztendlich sollten wir erkennen,
dass das gesteigerte genetische Potentiale in der Praxis in realisierte
Leistungssteigerung umgesetzt werden muss. Gesundheitskontrolle,
das Farm-Management und die Ernährung müssen mit der genetischen
Verbesserung Schritt halten. Gemeinsam können wir mehr erreichen
und wir werden auch in Zukunft erfolgreich sein.
Prof. Dr. R. Preisinger